Freitagnachmittag, 17 Uhr. Es klingelt an der Tür.
Ich (durch die Gegensprechanlage): "Ja, hallo?"
Eine Frauenstimme mit französischem Akzent: "Ja, hallo, Frau Sodjinou, sprechen Sie Französisch?"
Das letzte Wochenende habe ich zusammen mit einer guten Freundin bei ihrer Familie in Sevilla verbracht. Wir hatten diesen Besuch schon ewig geplant, sie wollte mir endlich ihr zweites Zuhause zeigen und ihre spanische Familie vorstellen. Im November haben wir günstige Flüge (Ryanair) gefunden und uns gedacht: „Anfang März hat man ja auch schon gute Chancen auf angenehmes Wetter.“ Nach so einem langen, tristen Winter war die Aussicht auf 20° C und Sonne schon ganz nett. Vor allem freute ich mich aber auf einen Tapetenwechsel, neue Eindrücke, leckeres Essen (Tapas) und Vino.
Nun stand das lang ersehnte Wochenende also vor der Tür und der Wetterbericht wollte uns ganz offensichtlich ärgern. 100 % Regenwahrscheinlichkeit. An allen 3 Tagen. Ätschibatsch!
Man muss dazu sagen, dass es in Sevilla so gut wie nie regnet.
Irene war schon ein bisschen traurig, weil sie sagt, das Schöne an Sevilla sei unter anderem die Sonne, die die Stadt in ein ganz besonderes Licht taucht. Sie wollte mir ihre zweite Heimat natürlich gern von ihrer besten Seite zeigen.
Ich fand es eigentlich gar nicht sooo schlimm. 18 Grad und leichter Regen klingt für mich nach einem normalen „Sommertag“ in Hamburg im Juni…
Auch die Sevillanos waren allgemein glaube ich ganz froh über Regen, da er wie gesagt
eine Seltenheit ist. Das Wetter war jedenfalls in aller Munde: Schlagzeilen in den Zeitungen, Whatsapp-Videos, die Gespräche am Marktstand – alles drehte sich um den Sturm und den Regen. Der Sturm war gar nicht ohne und hat sogar ein paar Palmen umgepustet, weshalb leider fast alle Parks in der Stadt aus Sicherheitsgründen geschlossen blieben.
Das war wirklich schade, denn am Sonntag schien überraschend wieder die Sonne und wir hätten gerne die Gärten im Alcázar-Palast oder auch den Plaza España angeguckt. Aber ein bisschen was kann man sich ja auch noch für den nächsten Besuch aufbewahren. Ich finde, es war ein rundum gelungenes Wochenende und habe einmal zusammengefasst, wie man auch bei Schmuddelwetter ein paar wundervolle Tage in Sevilla verbringen kann:
Eigentlich sagt man ja, das Beste kommt zum Schluss, aber ich fange direkt mit meinem persönlichen Highlight an. Wenn es draußen regnet, freuen sich die Leute über den Regen (oder auch nicht) und bleiben zu Hause. Denn dort ist es schön gemütlich. Die meisten Wohnungen in Andalusien haben keine Heizung, weil man sie in der Regel nicht braucht. In den Wintermonaten kann es aber drinnen trotzdem manchmal ziemlich kalt werden. So auch letztes Wochenende. Wir kamen aus dem kalten Deutschland, waren nach dem Flug müde, durchgefroren und froh, im häuslichen Wohnzimmer anzukommen. Als ich mich an den Tisch setzte, sagte Irenes Papa zu mir: „Mach doch deine Beine unter die Tischdecke.“
„Ähm, ja, okay…?“ dachte ich mir, folgte aber der Aufforderung und war sofort verzaubert.
Die mesa camilla ist im Prinzip ein Tisch mit einem kleinen eingebauten Heizofen oder Heizstrahler (früher waren es Kohlen).
Damit die Wärme nicht entwischt, reicht die Tischdecke bis auf den Boden
und man kann seine Beine darunter stellen… und nie wieder aufstehen.
Für mich war das Wochenende gerettet. Schlechtes Wetter? Mir doch egal. Sightseeing wird sowieso überbewertet, ich bleibe einfach bis Sonntag hier sitzen!
Wir haben tatsächlich einige Stunden bei gemeinsamen Mahlzeiten mit der ganzen Familie am Tisch verbracht. Die mesa camilla ist mehr als eine praktische Erfindung. Ich würde sagen, man kann schon von einem kulturellen Phänomen sprechen. Und ich dachte immer, dieser Brauch mit der ganzen Familie und Freunden ewig am Tisch zu verweilen hätte mit den leckeren Tapas oder dem guten spanischen Vino zu tun…
Anders als in Deutschland (wahrscheinlich wegen der oft hohen Temperaturen) sind die Märkte in Spanien meistens in großen, überdachten Markthallen. Ist vielleicht klüger, damit frischer Fisch oder rohes Fleisch nicht bei 40° C in der Sonne brutzeln…
Irenes Mama erzählt uns von ihren Markthändlern des Vertrauens: Der Gemüsemann, der ihr immer nur die besten Zutaten für eine leckere Suppe raussucht. Und der Fischhändler, der jeden Morgen mit seinem Handy ein Video aufnimmt, in dem er den frisch gefangenenen Fisch anpreist. In der Whatsapp-Gruppe kann man dann reservieren, welches Exemplar man haben will und sich später seinen Fisch abholen. Mercado 2.0!
Dazu gehört auch eine Markthalle, in der man frisches Obst, Schinken, Käse, Gewürze, Fisch, Fleisch, Brot, Oliven und sogar Kleidung und Schmuck kaufen kann. Für 1 € gibt es läckere Säfte aus Mango oder Erdbeeren, oder auch Tomaten, die halb so groß sind wie mein Kopf. Wenn man nett fragt, kann man an den Ständen immer probieren und sich dann natürlich Leckereien für zuhause mitnehmen.
Am Samstag haben wir uns durch alle typisch spanischen Tapas durchgefuttert. Salmorejo (ähnlich wie Gazpacho, eine cremige Tomatensuppe aus Tomaten, Brot, Knoblauch und Olivenöl), Gambas, Tortilla, Sardinen, Empanadas, Ibero-Schinken… Viel mehr muss ich ja eigentlich nicht erklären.
Hier gilt auf jeden Fall: Probieren geht über Studieren. Einfach alles von der Karte aussuchen, was gut oder interessant klingt und sich überraschen lassen, was auf den Tisch kommt. Das Schöne an Tapas ist, dass man viele kleine Teller bestellt und sie teilt. So kann jeder alles mal probieren. Für Leute wie mich, denen es immer schwer fällt, sich auf der Speisekarte für ein Gericht zu entscheiden und die dann IMMER das besser finden, was die anderen auf dem Teller haben, die perfekte Lösung 🙂
…kann man einfach ein bisschen durch die Stadt schlendern und sich treiben lassen.
Es gibt unzählige Parks und Gärten rund um die Sehenswürdigkeiten wie den Alcázar Real de Sevilla oder den Plaza España herum. Der kleine Stadtteil Barrio Santa Cruz besteht aus vielen Plätzen und bunten, engen Gassen, in der es kleine Lädchen mit Kunsthandwerk oder Galerien zu entdecken gibt.
…lohnt es sich in Sevilla, nicht nur aufs Handy auf Google Maps oder Instagram, sondern auch mal nach oben zu gucken, um den blauen Himmel, die Orangenbäume (mitten in der Stadt!!) und die wunderschön verzierten Hausfassaden zu bewundern.
Nach dem Sturm galt allerdings tatsächlich auch Vorsicht auf den Fußwegen,
da einige Palmen umgefallen waren und man aufpassen musste, nicht in matschige Orangen zu treten.
…haben wir natürlich auch gemacht und uns Las Setas bei Nacht mit einem beeindruckenden Ausblick auf die Stadt und die vielen Kirchen (die wunderschöne Giralda) angeguckt. Auf den den Plaza España konnten wir leider nur einen Blick durch das Tor werfen, weil der Park nach dem Unwetter geschlossen war. Unser Spaziergang führte uns außerdem durch die am Fluss gelegene bunte Straße Calle Betis, an der Stierkampfarena und demTorre de Oro vorbei.
Zum Stadtbild gehören auch Pferdekutschen, in denen man alternativ zur Busfahrt eine Tour machen kann.
Würde ich jetzt gemütlich mit einem Glas Wein am Tisch, an der mesa camilla sitzen, könnte ich wahrscheinlich noch ewig weiter erzählen. Aber in der Kürze liegt die Würze. Es war ein wunderschönes Wochenende – una marravilla, como la lluvia en Sevilla.
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Hola Myri:
tu cuento da ganas de visitar a Sevilla lo que seguramente haré pronto.
Saludos y abrazos, Willi